Montag, 1. März 2010

Das Inkrafttreten des Schlagobersverbotes in Wien


Der erste Tag der "obersfreien" Wiener Kriegsjause

Wien, 2. August 1915

Mit dem gestrigen Tage war in Wien die Statthaltereiverordnung, die die Verwendung von Schlagobers, und zwar sowohl die Erzeugung als den Verkauf und die gewerbsmäßige Verwendung verbietet, in Kraft getreten. Auch zur gewerbsmäßigen Erzeugung von Gefrornem war von heute ab die Milchverwendung untersagt, was das Ende aller Arten von "Obersgefrornem" bedeutete. Die Durchführung der Verordnung ging, wie hervorzuheben ist, ganz glatt von statten. Das Publikum der Kaffehäuser fügte sich widerspruchslos in die neue Ordnung, die mit der notwendigen Einschränkung des Milchverbrauches begründet ist. Wie die Abschaffung des Weißgebäcks, so wurde auch die Abschaffung des Schlagobers verständnisvoll als eine jener zweckmäßigen Maßregeln hingenommen, die uns das Durchhalten erleichtern sollen. Bemerkenswert waren die Veränderungen in der "Wiener Jause", die der gestrige Tag bereits beobachten ließ. In den Küchen der Stadtkaffeehäuser gab es plötzlich ganz überflüssige Geräte; die außer Dienst gestellten "Schlagobermaschinen". Als die Jausenzeit in den zahllosen "Jausenstationen" des Wiener Rayons herannahte, trat das neue Verbot erst eigentlich in Erscheinung. Überall wurde Kaffee ohne die so charakteristischen weißen "Borten" von Obers serviert. Die zahlreichen Damenjausenbesucherinnen auf den Kaffeeterassen nahmen die vom Markör kurz erläuterte Abschaffung des gewohnten Doppelschlag mit Verständnis entgegen und bestellten einfach - "Melange mit Haut". In den Kaffehäusern sind im Kellner Jargon die Stammgäste längst in "Schlag-" und in "Hautesser" eingeteilt. Letztere zumeist Herren, mußten jedoch die gewohnte Zutat heute vielfach entbehren, da von einem Liter Milch beim besten Willen nicht mehr als höchstens fünf Portionen damit versehen werden konnten.

Eine weitere Folge der Reform war, dass die Markörkunststücke, sieben bis acht Kaffegläser auf einmal zu befördern, nicht mehr durchführbar waren. Ein Markör erkärte dies damit, dass der "Gupf" von Schlagobers bisher eine feste Bindung des Kaffees nach oben gebildet habe, so dass nichts verschüttet werden konnte. Nun aber gerate die leere Flüssigkeit allzu leicht ins "Schwabbern", so daß nur mehr drei bis vier Tassen auf einmal getragen werden könnten.

Die zweite Neuerung des gestrigen Tages in den Kaffehäusern war die Abschaffung des Obersgefrornen. Die Kaffeesieder halfen sich damit, dass sie das Gefrorne - kalt gestelltes Kaffee -Eis - statt mit Beimengung von Obers mit - Wasser versetzten. Die breite Lage von Obers auf den Gläsern wurde, um der Darbietung ein "Gesicht" zu geben, durch gehäuftes Vanilleeis halbwegs ersetzt, auch wurden hie und da größere Portionen geboten. Auch die übrigen Gefrornensorten wurden noch geboten, jedoch mit Wasser hergestellt und ohne Oberschaum. Das Publikum hielt sich mehr an die Fruchteissorten, "Erdbeer", "Himbeer" usw.

Bei den Zuckerbäckern versuchte man gleichfalls das entfallende Schlagobers so gut als möglich zu ersetzen. Die Schlagoberskrapfen waren sämtlich verschwunden. Wie schon angekündigt, half man sich mit "Schnee" aus Eiweiß. Die "Erdbeeren mit Rahm", bisher eine im Sommer beliebte Erfrischung, waren natürlich nicht zu ersetzen. Aber auch das Publikum der Zuckerbäcker erwies sich verständig genug, um sich mit der unvermeidlichen Maßregel, die die Schonung der Milchvorräte bezweckt, rasch abzufinden.

In Kreisen der Gewerbe, die sich mit den durch das Schlagobersverbot berührten Artikeln befassen, konnte man vielfach Zweifel bezüglich der Gültigkeit des Verbotes hinsichtlich eventueller Verwendung von Trockenmilchtabletten zur Eisbereitung vernehmen. Tatsächlich ist die Trockenmilch, die auch vom Ausland eingeführt wird, in der Verordnung nicht erwähnt, und es bedürfte entsprechender Unterweisung, ob auch die Trockenmilch in das Milchverbot bei der Eiserzeugung einbezogen ist. 

(Karl Kraus, aus "ein Tag aus der großen Zeit" 1915. 
Spruch des Tages:  
Den eisernen Becher, den vollen, weiht
Den eisernen Helden der eisernen Zeit! )

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