Sonntag, 21. August 2011

Ein zukünftiger Kaiser wird geboren



Am zehnten, während es noch dämmerte, wechselte man die Ausstattung des Raumes. Die Kaiserin begab sich auf ein weißes Podest. Der Herr Regent (ihr Vater), seine Söhne, Herren vom Vierten und Fünften Rang arbeiteten in großer Eile, man war voll damit beschäftigt, die Vorhänge, Decken und Unterbetten auszuwechseln.

Das Befinden der Kaiserin war den ganzen Tag über besorgniserregend, sie hatte sich daher hingelegt. Ununterbrochen wurde geschrien und gelärmt, um die bösen Geister anderswohin zu jagen. Zu den zahlreichen Geistlichen, die in diesen Monaten sowieso schon im Palast anwesend waren, hatte man auch noch sämtliche Exorzisten, die man auf den Bergen und in den Klöstern gefunden hatte, zusammengerufen, man spürte es, die Buddhas der Drei Welten mußten sie hören! Die Magister der Mantik hatte man versammelt, soviele es nur gab, und es sah und hörte sich an, als müssten auch die Acht Myriaden Gottheiten ihre Ohren spitzen. Geschäftig brachen immer wieder Boten auf, um das Lesen von Suren anzuordnen, und so war die Nacht vorbeigezogen.

Östlich des mit Vorhängen umgebenen Podestes hatten sich die persönlichen Hofdamen der Kaiserin versammelt. Im Westen befanden sich diejenigen, von denen die bösen Geister Besitz ergreifen sollten, und um jede Person hatte man mit einem Paar Stellschirme ein Kämmerchen gebildet, an dessen Eingang man einen Vorhangständer hingestellt hatte, es waren ihnen jeweils Exorzisten zugewiesen, die lauthals ihre Formeln sprachen. Im Süden saßen hintereinander der würdige Erzabt und die Äbte, und als wollten sie die Gestalt des Lichtkönigs Fudo leibhaftig herbeirufen, beteten und beschworen sie, bis ihre Stimmen heiser waren, es hörte sich sehr großartig an. Die Lücke zwischen dem Podest und den Schiebetüren zum angrenzenden Vorraum im Norden war sehr schmal, dennoch saßen dort mehr als vierzig Leute, wie ich später zählte. Sie konnten sich nicht im geringsten bewegen, das Blut stieg ihnen zu Kopfe, und sie hatten keine Empfindung mehr. Die Hofdamen, die jetzt von zu Hause herbeikamen, konnten sich kaum hereinzwängen, sie wußten nicht, wohin mit den Säumen ihrer Röcke, den Ärmeln ihrer Gewänder. Ältere Damen, für die es sich so gehörte, weinten insgeheim sehr heftig.

Am elften, im Morgengrauen, entfernte man im Norden die Schiebetüren zwischen zwei Pfostenabständen, und man brachte die Kaiserin in den anliegenden Vorraum. Da man hier keine Bambusvorhänge aufhängen konnte, stellte man Vorhangständer um sie herum auf. Der Erzabt, Abt Kyocho, der Abt und Klosterverwalter waren anwesend und rezitierten Beschwörungen; Abt Ingen hatte dem Bittgebet, das der Herr Regent am Tag zuvor geschrieben hatte, weitere inständige Bitten hinzugefügt und las es vor, und seine Worte klangen ergreifend und ehrwürdig und voller Hoffnung, und zu hören, wie nun der Herr Regent mit einstimmte, machte noch hoffnungsfroher, aber trotz dieser Gedanken waren wir doch sehr bekümmert und konnten die Tränen nicht unterdrücken, und obwohl wir uns gegenseitig ermahnten "das gehört sich doch nicht. Was ist denn das" - sie waren nicht mehr einzudämmen.

Das Befinden der Kaiserin schien sehr darunter zu leiden, dass der Raum mit zu vielen Menschen vollgestopft war, daher wies man diese in die vorderen Zimmer im Süden und Osten, und nur wer benötigt wurde, blieb im Gemach der Kaiserin. Die Gattin des Herrn Regenten und die Damen Sanuki no Saisho und Kura no Myobu waren innerhalb der Vorhänge zugegen, und auch der Herr Abt des Ninna-Klosters und der Palastseelsorger aus dem Miidera, wurden herbeibefohlen. Im zehntausenfachen Stimmengewirr des Palastes gingen die Worte der Geistlichen unter, es war, als ob kein Wort von ihren Lippen käme. Die Damen, die jetzt dort noch beisammensaßen - die Damen Dainagon, Koshosho, Miya no Naishi, Nakatsukasa, Taiu no Myobu, Oshikibu no Osmoto und die Ordonnanzdame des Hauses - hatten alle schon viele Jahre in Palastdiensten verbracht, es war gut zu verstehen, dass sie sich in großer Aufregung befanden, aber wenn ich auch noch nicht lange mit der Kaiserin bekannt war, empfand ich doch den unvergleichlichen Ernst der Lage und mein Herz fühlte mit ihnen.

Außerhalb des Vorhangständers, der am hinteren Ende des Raumes aufgestellt war, drängten sich die Amme der Vorsteherin des Hofdamenamtes sowie Shonagon, die Amme der Prinzessin, und Koshikiku, die Amme der jüngeren Prinzessin, herein; die Gänge hinter den beiden Podesten konnte man nicht mehr passieren, die Gesichter der Menschen, die hier aneinander vorbeigingen und sich bewegten, waren nicht mehr zu erkennen. Nicht zu sprechen von den Söhnen des Herrn Regenten sowie von Staatsrat und Vizekommandant Kanetaka und Unterkommandant der Leibgarde vom Vierten Rang Masamichi, auch Staatsrat und Vizekommandant zur Linken Tsunefusa sowie der Leiter des Palastamtes der Kaiserin, Leute, die sich gewöhnlich eher kühl gebärden, ließen alle Scham fahren und zeigten geschwollene Augen, als sie über die Vorhangständer hinweg einen verstohlenen Blick auf die Kaiserin warfen. Der Reis, den man verstreut hatte, war wie Schnee auf die Häupter gefallen, und wie häßlich mochten erst die zerknitterten Gewänder ausgesehen haben - doch darum kümmerte man sich erst später.

Als man Haar vom Haupt der Kaiserin abschnitt und sie mit buddhistischen Weihen empfing, fühlte ich mich ganz verwirrt - was sollte das bedeuten?- und es schmerzte mich sehr, doch alles ging ruhig vonstatten, und noch bevor die Nachgeburt sich gelöst hatte, erhoben Mönche wie Laien, die dichtgedrängt im Hauptraum, im südlichen Vorraum und bis zum Geländer hinaus standen, noch einmal ihre Stimme im Gebet und beugten die Stirn bis zum Boden.

Unter die Damen im östlichen vorderen Raum hatten sich Höflinge gemischt, und noch später lachten die Damen, wenn sie davon erzählten, wie sprachlos und verblüfft Dame Kochujo ausgesehen habe, als sich ihre Blicke plötzlich mit denen des Herrn Vizekommandanten zur Linken und Vorsteher der Kammerherren trafen. Sie ist eine Person, die sich nie eine Nachlässigkeit im Zurechtmachen ihres Gesichts zuschulden kommen läßt, und sie ist von einer sehr ruhigen und geschmeidigen Schönheit; sie hatte in der Morgendämmerung wohl ihr Gesicht zurechtgemacht, aber nun war es vom Weinen geschwollen, und da und dort hatten die Tränen ihre feuchten Spuren hinterlassen und Schaden angerichtet - sie sah ganz häßlich aus und so, als wäre sie das gar nicht. Dame Saisho hatte ein ganz verändertes Gesicht, es war sehr merkwürdig. Wie werde ich erst ausgesehen haben! Nun, glücklicherweise hat man gegenseitig nicht gemerkt, in welchem Zustand sich die befanden, die man bei dieser Gelegenheit gesehen hat.

Als es mit der Nachgeburt so weit war, wie schrecklich tönten die grollenden und lärmenden Stimmen der bösen Geister! Der Kammerfrau Gen hatte sich der hohe Priester Shinyo angenommen, der Kammerfrau Hyoe jemand namens Soso, der Kammerfrau Ukon der Unterabt aus dem Hoju-Kloster, um das Kämmerchen der Hofdame Miya no Naishi kümmerte sich der hohe Priester Nenkaku dazu und schrie laut. Die Bannkraft des Priesters war gewiß nicht gering, aber der Geist leistete heftig Widerstand. Die Dame Saisho hatte sich als ein erfahrenes Medium Eiko mitgebracht, und die ganze Nacht hatte sie mit Schreien verbracht, sie war ganz heiser. Kein Geist war auf irgendeine der Personen übergegangen, die man dazu bestellt hatte, und alles war in Aufregung.

Gegen Mittag, zur Stunde des Pferdes, hatte ich ein Gefühl, wie wenn sich der Himmel aufgeklärt hat und die Morgensonne durchbricht. Die Freude, dass die Kaiserin wohlauf war, war ohnegleichen, und wie hätte sich das Entzücken, dass es überdies ein Knäblein war, im Rahmen des gewöhnlichen halten können! Die Damen, welche den gestrigen Tag in Kummer und Sorge dahingebracht und die heute früh wie in Morgennebel eingetaucht erschienen, erhoben sich nun eine nach der anderen und zogen sich zur Ruhe in ihre Räume zurück. Bei solchen Gelegenheiten sind für die Kaiserin ältere Damen sehr angenehm.


(Diese bemerkenswert lebendige Beschreibung der Geburt eines zukünftigen japanischen Kaisers stammt aus dem Tagebuch der Dame Murasaki Shikibu. Sie hatte es vom Herbst 1008 bis zum Anfang des Jahres 1010 geführt. Murasaki Shikibu war Hofdame im Dienst der kaiserlichen Gemahlin Akiko, deren Niederkunft sie hier beschreibt.)